Es gleicht einer Sensation in Kenia. Der Internationale Gerichtshof in Den Haag hat die Anklage gegen vier prominente Politiker bestätigt. Darunter Kenias Vize-Präsident Uhuru Kenyatta, Sohn des Staatsgründers Jomo Kenyatta. Zum ersten Mal wird die politische Elite von Kenia wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit zur Rechenschaft gezogen.
Die Vorfälle sind in Europa schon längst wieder in Vergessenheit geraten. Kenia aber leidet noch immer unter den Nachwirkungen der Orgie der Gewalt. Nach den Präsidentschaftswahlen im Dezember 2007 brach zu Beginn des neuen Jahres vornehmlich in den Regionen im Westen des Landes die Hölle los.
Über 1100 Kenianer wurden getötet, Zehntausende wurden verletzt und aus ihrer Heimat vertrieben. Vermutlich waren es noch deutlich mehr. Genaue Zahlen gibt es nicht. In Naivasha, Nakuru und Eldoret wurden Kirchen und Häuser angezündet – auch eine Kirche mit verängstigten Frauen, Kindern und Alten – die Menschen verbrannten qualvoll. Luo-Männer wurden gewaltsam von Kikuyus beschnitten oder gleich massakriert. Horden von mit Macheten Bewaffneten verschiedener Volksgruppen terrorisierten Dörfer und Städte.
Im Dezember 2007 trat Raila Odinga gegen den amtierenden Präsidenten Mwai Kibaki bei der Präsidentschaftswahl an. Kibaki, angehöriger der Ethnie der Kikuyu gewann die Wahl denkbar knapp. Die Anhänger von Odinga, ein Luo, beschuldigten die Gegenseite der Wahlfälschung und protestierten auf den Strassen der Städte. Im fruchtbaren Rift Valley nutzten Angehörige der Volksgruppe der Kalenjin das allgemeine Durcheinander und misshandelten und vertrieben die verhassten Kikuyu.
Bis jetzt hatte es noch bei jeder Wahl seit 1992 blutige Auseinandersetzungen zwischen den Ethnien gegeben, doch noch nie mussten sich die Rädelsführer verantworten. Angeklagt werden nun Vize-Präsident und Finanzminister Uhuru Kenyatta, William Ruto, Anführer der mächtigen Volksgruppe der Kalenjin, Francis Muthaura, die rechte Hand des Präsidenten Kibaki, sowie ein Radiomoderator, der mit Hasstiraden über den Äther die Stimmung angeheizt haben soll. Bei zwei der Beschuldigten sahen die Richter allerdings keine ausreichende Beweislage.
Der Teil der Regierung, der den Kikuyu nahe steht, versuchte mit aller Macht das Verfahren in Den Haag zu verhindern. Sie wollten die Vorkommnisse mit einem eigenen Gericht aufarbeiten. Obwohl man sich dem ICC sogar schriftlich verpflichtete, wurde ein solches Gericht nie installiert. Man düpierte Kofi Annan, den Schlichter der Regierungskrise nach den Wahlen von 2008, und versuchte die Afrikanische Union gegen den ICC aufzustellen. Es nutzte ihnen nichts.
Der populärste Korruptionsbekämpfer Kenias, John Githongo, nannte die Entscheidung Den Haags eine “große Sache”. Nun stünden führende kenianische Politiker in einer Reihe mit Verbrechern wie Ratio Mladic und Charles Taylor. “Das ist gar keine nette Gesellschaft.”
Dennoch, und da wird die Arroganz der Mächtigen deutlich, will sich Uhuru Kenyatta für die Präsidentschaft bewerben. Auch der Mitangeklagte William Ruto will sich zur Wahl stellen. Die kenianische Verfassung kennt keinen Paragrafen für den Fall, dass ein Bewerber für die Präsidentschaft vom ICC angeklagt wurde.